3 Fragen

an Professor Dr. Dr. Dr. Robert Sader, Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt am Main

Die Digitalisierung wird auch das deutsche Gesundheitswesen und die Medizin verändern. Wie wird sich das Ihrer Meinung nach auf die Arzt-Patient-Beziehung auswirken?
Die Arzt-Patient-Beziehung hat sich bereits gewandelt. Früher hatten Erfahrung und Empathie eines Arztes, der einen Zugang zur individuellen Patientensituation gesucht hat, große Bedeutung. Heute geht dieses Wissen immer mehr verloren und junge Ärzte verlassen sich technologiegläubig einseitig auf Gerätebefunde, ohne den Patienten als Ganzes zu sehen. Arbeitsplatzanalysen haben gezeigt, dass die Kontaktzeit zwischen Arzt und Patient stetig abnimmt: Konservativ tätige Krankenhausärzte verbringen nur noch einen Bruchteil ihrer Zeit mit dem Patienten, organisieren und besprechen statt dessen Befunde. Chirurgen haben nicht mehr Zeit, selbst ihre Patienten aufzuklären, man sieht sich erst nach der Operation. Damit besteht die Gefahr, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zunehmend verloren geht. Gerade wenn ein Patient einen individuellen Krankheitsverlauf zeigt, bei dem auch soziale oder psychische Probleme berücksichtigt werden müssen, dann braucht es einen empathischen Arzt, der die
Patientenidentität und seine Autonomie berücksichtigt.

Die Entschlüsselung des Genoms etwa liefert eine neue Qualität von Daten, von der Identität bis zu Krankheitsrisiken. Das eröffnet viele Chancen, welche sehen Sie?
Natürlich viele Chancen, aber auch mindestens ebenso viele neue Risiken. Das Genom ist nur ein Teilaspekt des Lebens. Da gibt es auch noch das Proteom, das Mikrobiom und viele weitere Bausteine, die wir noch gar nicht im Blick haben. Alle diese Bausteine interagieren miteinander, und über diese Interaktionen wissen wir noch gar nichts. Das Genom bietet nur bei speziellen Krankheiten eine wirkliche Hilfe und liefert oft nur Wahrscheinlichkeitsanalysen. Aber wenn wir Wahrscheinlichkeiten behandeln – und jeder Mensch hat eine Menge Krankheitsrisiken – dann werden erstens viel mehr Behandlungen durchgeführt als wirklich nötig. Und zweitens hat jede Behandlung ja auch immer ein Komplikationsrisiko. Es gibt leider bereits sehr schlimme Beispiele, bei denen hierdurch mehr Menschen gesundheitlich geschadet als geholfen wurde.

Die Risiken sind ALSO nicht zu unterschätzen. Bleibt bei einer datenbasierten Medizin überhaupt noch Raum für die Ethik?
Gerade aufgrund der Datenflut muss die Ethik eine immer grössere Rolle spielen. Das beginnt bei der Patientenautonomie und der Datenschutzproblematik. Wer entscheidet, welche Befunde erhoben und welche wie gespeichert, weitergegeben und ausgewertet werden dürfen? Wie gehen wir mit Zufallsbefunden um, die nicht krankheitsrelevant sind? In den USA werden die Behandlungskosten für solche Befunde bereits nicht mehr übernommen. Letztendlich basiert die Digitalisierung auf einem naturwissenschaftlichen Menschenbild. Unser Körper ist aber nur zum Teil für unsere Gesundheit verantwortlich. Auch psychosoziale Faktoren müssen berücksichtigt werden. Mit der neuen ärztlichen Ausbildungsordnung sollen deshalb mehr geisteswissenschaftliche Ansätze in die Medizin kommen. Dies beruht auf einer Forderung der Patienten und zeigt den großen Bedarf an ethischer Auseinandersetzung.

José Macias

Experte

Prof. Dr. Dr. Dr. Robert Sader

Universitätsklinikum Frankfurt/Main

Es besteht die Gefahr, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zunehmend verloren geht



Digitale Sprechstunde

Hier haben Sie die Gelegenheit unserem Experten Ihre Fragen zu stellen:

Kommentar

0 Kommentare