Covid-19 Update 3.0

Rund 35 Spitzenmediziner, Gesundheitsexperten, Zukunftsdenker, Ethiker, Juristen und Experten auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (KI) aus ganz Deutschland treffen sich seit 2017 in verschiedenen Konstellationen regelmäßig, um die Entwicklung der datengetriebenen Präzisionsmedizin für die Leserinnen und Leser und Nutzer der Online-Angebote der Rheinischen Post einzuordnen und ihre Möglichkeiten sowie Grenzen zu bewerten.

Es geht um komplexe Fragestellungen: Wie sieht die Zukunft der Medizin aus? Entsteht für den Patienten durch Datenmedizin ein Mehrwert oder wächst aktuell eine Datenkrake heran, die uns zum gläsernen Patienten macht? Kann durch sensible Nutzung aktueller Daten unser Leben verbessert und können zukünftig Krankheiten frühzeitig erkannt, schneller, besser oder vielleicht erstmalig geheilt werden? Was erwartet der Bürger von diesen diagnostischen und therapeutischen Fortschritten? Wie kann die moderne Datenmedizin zum Vorteil aller genutzt werden? Initiiert wurde dieses Forum Zukunftsmedizin für die Rheinische Post unter der Federführung von Pia Kemper.

Ab September werden die Gesundheits-Experten im Forum Zukunftsmedizin wieder über die Möglichkeiten der KI für individualisierte Diagnostik- und Therapieverfahren diskutieren. Patient Empowerment bei der Behandlung sowie ethische und datenschutzrechtliche Fragestellungen werden ebenso in den Fokus genommen wie aktuelle Entwicklungen und Möglichkeiten der Medizin im digitalen Zeitalter. Unser Ziel ist es, die Ergebnisse und Erkenntnisse für die Leserinnen und Leser laienverständlich aufzubereiten. Mit diesem Ansatz soll ein Narrativ der Nahbarkeit hergestellt werden, um sowohl interessierten Lesern als auch Patienten die Angst vor der datengetriebenen Zukunftsmedizin zu nehmen.

Bis es soweit ist, werden wir Sie weiterhin gemeinsam mit unseren Spitzenmedizinern über die Fortschritte in der Bekämpfung der Corona-Pandemie an dieser Stelle informieren, um den zahllosen Fehlinformationen und Verschwörungstheorien entgegen zu wirken. Natürlich bleiben auch aktuelle Fragestellungen, Entwicklungen und Erkenntnisse zu COVID-19 auf unserer Agenda.

Nachfolgend haben drei unserer Experten neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zu SARS-CoV-2 aufbereitet. Und zum Abschluss lesen Sie einen dringenden Appell, der aktuell viele Mediziner bewegt.

Corona befällt viele Organe beim Menschen

Prof. Dr. Heiner Greten, Chairman des Herz-, Gefäß- und
Diabeteszentrums an der Asklepios-Klinik St. Georg, Hamburg

SARS-CoV-2 infiziert bevorzugt die Atmungsorgane beim Menschen. Eine neue Studie aus dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf beweist jedoch, dass das Corona-Virus keine reine Lungenerkrankung ist, sondern zu Multiorganversagen führen kann. In Zusammenarbeit mit den Instituten für Mikrobiologie und Rechtsmedizin konnte Prof. Tobias B. Huber, Direktor der III. Medizinischen Klinik am UKE, das neuartige Corona-Virus in zahlreichen anderen Organen nachweisen. Durch die Untersuchung von 27 verstorbenen COVID-19 Patienten wiesen die Wissenschaftler das Virus in der Lunge, im Rachen, im Herz, in der Leber, im Gehirn und in den Nieren nach. Damit ist es wahrscheinlich, dass das neuartige Corona-Virus kein reines Atemwegsvirus ist, sondern zahlreiche andere Organe und Organsysteme befallen könnte. Bei Erkrankten mit schweren COVID-19-Verläufen treten gehäuft Nierenschäden bis hin zur Notwendigkeit einer Dialysetherapie auf. Dies könnte eine direkte Schädigung durch das Virus bedeuten.

SARS-CoV-2 ist somit ein „Multiorganvirus“, welches zahlreiche Organe befällt. Nach dem Atemtrakt werden vor allem die Nieren von den Erregern befallen. Dies erklärt zum einen den auffälligen Urinbefund bei vielen Patienten, aber auch die extrem hohe Rate von akuten Nierenversagen bei COVID-19-Infektionen, die bei bis zu 50 Prozent liegt. Zudem konnte die Hamburger Arbeitsgruppe zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen Virusnachweis in mehreren Organen und dem gleichzeitigen Bestehen mehrerer Erkrankungen (Co-Morbidität) existiert. Aus diesen neuen Erkenntnissen lassen sich daher mögliche Zusatzuntersuchungen ableiten, um frühzeitig im Verlauf der Erkrankung weitere Organschäden festzustellen und vor allem auch Folgeschäden zu überwachen. Als direkte Konsequenz werden nun Urinkontrollen bei einer COVID-19-Infektion als Routinemaßnahme zu Beginn der Erkrankung durchgeführt.

Aktuelle Studien am UKE, in Kooperation mit anderen Kliniken, fokussieren sich auf die Frage, ob Urinveränderungen als Frühwarnsystem für schwere COVID-19-Verläufe dienen können. Diese neue Erkenntnis erklärt, warum vorhandene Vorerkrankungen anderer Organe sich durch den Virusbefall so dramatisch verschlechtern können. Der Befund erklärt darüber hinaus, warum bei Patienten mit SARS-CoV-2 häufig Nierenfunktionsstörungen beobachtet werden – selbst dann, wenn die Gesamterkrankung nicht besonders dramatisch verläuft.

Behandlungsansätze bei SARS-CoV-2

Prof. Dr. Dirk Arnold, Chefarzt der Abteilung für Onkologie
mit Sektion Hämatologie, Asklepios Klinik Altona, Hamburg

Während die aktuelle Medikamentenentwicklung mit Hochdruck an einem Impfstoff gegen das SARS-CoV-2 arbeitet, dieser aber in erkennbarer Zeit nicht verfügbar sein wird, müssen wir vor allem mit infektions-epidemiologischen Methoden auf die Eindämmung der Ausbreitung setzen. Dies geschieht insbesondere durch generelle Kontaktvermeidung, in Verbindung mit einem Expositionsschutz (wie einer Mund-Nasen-Bedeckung), und auch durch das rechtzeitige Erkennen von Infizierten, um die „Infektionsketten“ zu unterbrechen. Ob und inwieweit die neue Corona-App eine Rolle spielt, bleibt abzuwarten.

Wenn Menschen an COVID erkranken, kommen neue Therapieansätze in Frage, die aktuell fast alle in klinischen Studien erprobt werden. In medikamentöser Hinsicht werden vor allem zwei Wege verfolgt: Zum einen soll die Aufnahme des Virus in gesunde Zellen des Betroffenen – sogenannte Wirtszellen – verhindert oder gehemmt werden bzw. die Vermehrung in den Wirtszellen. Diese virostatische Therapie orientiert sich an der Behandlung anderer Viruserkrankungen, wie beispielsweise Hepatitis oder HIV. Zudem zeigt sich, dass bei der COVID-19-Erkrankung das Virus bei bestimmten Vorerkrankungen eine sehr starke, gewissermaßen „überschießende“ Reaktion des Immunsystems, auslöst. Dies führt dann zu den schweren Symptomen an der Lunge und den anderen Organsystemen. In diesen Fällen gilt es, diese (zu) starke Abwehraktivität zu regulieren. Ein dritter, neuer Ansatz, der vereinzelt bei sehr schwer Erkrankten angewandt wurde, ist die Blutplasma-Übertragung von Spendern, die eine COVID-Erkrankung bereits überstanden haben. Das Blutplasma dieser „Rekonvaleszenten“ enthält Antikörper, die spezifisch gegen das SARS-CoV-2 gebildet wurden. Nun hilft es dem Immunsystem des erkrankten Empfängers, das Virus zu eliminieren. Dies wurde an verschiedenen Einrichtungen in Deutschland durchgeführt, wie erfolgreich das Verfahren wirklich ist, kann aber noch nicht abgeschätzt werden.

Vorsorgemaßnahmen dürfen aus Angst vor dem Virus nicht ausgesetzt oder weiter verschoben werden!

Prof. Dr. Heiner Wedemeyer, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH)

In Deutschland wurden in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Vorsorgeprogramme wie beispielsweise das Brustkrebsscreening mittels Mammographie oder die Vorsorgekoloskopien sehr erfolgreich etabliert. Insbesondere für Darmspiegelungen gilt, dass hiermit nicht nur Darmkrebse in sehr frühen und damit heilbaren Stadien gefunden, sondern auch Vorstufen von Krebs entdeckt und sicher entfernt werden können. Die Sterblichkeit durch Darmkrebs ist erfreulicherweise seit Einführung der Vorsorgekoloskpien in den letzten zwei Jahrzehnten stark zurückgegangen. Darmspiegelungen werden in Deutschland mit hoher Qualität von Fachärzten in Niederlassungen und Kliniken angeboten.

Im Rahmen der COVID-19 Krise sind jedoch zahlreiche „planbare Untersuchungen“, die keine unmittelbaren Notfälle darstellen, im März und April ausgesetzt worden. Weiterhin haben viele Menschen Angst, dass sie sich bei einem Besuch eines Arztes oder einer Ärztin hätten infizieren können. Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten schätzt, dass mehr als 20.000 Vorsorgedarmspiegelungen in den letzten drei Monaten nicht durchgeführt worden. Alle Personen, bei denen eine Untersuchung ansteht, können aber beruhigt sein: Sowohl in Praxen als auch in Krankenhäusern sind hoch-standardisiert Maßnahmen etabliert, die Übertragungen von Viren und Bakterien im Rahmen einer Untersuchung extrem unwahrscheinlich machen. Bisher sind keine Übertragungen von SARS-CoV-2 in Deutschland im Rahmen einer Darmkrebsvorsorge dokumentiert.

Grundsätzlich gilt: Die beste Maßnahme das eigene Risiko durch eine COVID-19-Erkrankung zu reduzieren ist, dass eine Grunderkrankung gut behandelt und therapiert ist. Das gilt für alle chronischen Erkrankungen, aber auch für eventuell bisher nicht bekannte Diagnosen. Daher sollten keine Arztbesuche oder Vorsorgeuntersuchungen weiter verschoben werden. Denn bis zur Einführung einer weit verfügbaren Impfung gegen SARS-CoV-2-Infektionen werden neun bis zwölf Monate vergehen.



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