Es geht um eine Medizin für die Menschen

Eine gute Datengrundlage kann die Medizin der Zukunft unterstützen – wenn sie die Menschlichkeit nicht vergisst, sagt der Mediziner Prof. Dr. Johannes Greten.

Patienten können von der Zukunftsmedizin sehr profitieren, ist Prof. Dr. Johannes Greten überzeugt. Es sei eine „großartige Chance“, wenn große Datenmengen zur Gewinnung von Informationen über Krankheiten oder Behandlungsmethoden genutzt werden können. Das sei auch durchaus mit der Naturheilkunde vereinbar, betont der Arzt und Experte in der Traditionellen Chinesischen Medizin.
Eines sollte dabei indes aus dem Blick geraten: die Menschlichkeit. Technik und Daten allein heilen nicht umfassend, ist Greten überzeugt. Nicht umsonst legen bewährte Heilmethoden großen Wert auf den persönlichen Kontakt zum Arzt oder Therapeuten. Der könne Datenauswertungen sehr wohl nutzen, wenn er die Probleme der Patienten erfassen will. Aber dazu müsse eben die Menschlichkeit „in ihrem umfassenden Sinne“ kommen: Die Berührung mit der Hand – in vielen Kulturen übrigens ein wichtiges Element, wenn es um Heilung geht – bewirke ebenso wie der Augenkontakt und der Klang die Stimme physiologische Veränderungen, die den Heilungsprozess unterstützen, erklärt der Mediziner. Geste, Körpersprache – all diese Elemente der menschlichen Kommunikation können eben nicht durch Roboter ersetzt werden.
In der Kombination liegt also der Mehrwert der Zukunftsmedizin für die Menschen: Big Data plus Menschlichkeit. Zur Menschlichkeit gehört unabdingbar auch die Menschenwürde. Greten zitiert gleich zwei relevante Quellen, die zeigen, um was es dabei geht: neben dem Grundgesetz das I-Ching‚ das chinesische „Buch der Wandlungen“.
Das über 5000 Jahre alte Werk beschreibt den „Innenraum“ des Menschen als einen intimen und schutzwürdigen Raum, der nicht zugänglich sein sollte für andere Menschen.
Hier sind nun die beiden Seiten der neuen medizinischen Möglichkeiten erkennbar: Neben die stützende Funktion, die Antworten auf die innersten Bedürfnisse von Patienten gibt, tritt eine womöglich schädliche Wirkung, wenn die persönlichen Daten falsch genutzt werden. Dazu zählt Greten auch eine zu technisierte Behandlung, die mehr auf wirtschaftliche Rationalisierungseffekte achtet denn auf die menschlichen Bedürfnisse der Patienten. „Der Chance, gesünder und länger zu leben, steht die Gefahr gegenüber, die Privatsphäre zu beschädigen“, warnt Greten mit Blick auf Bewegungsprofile oder die Überwachung von Einkäufen.
Beide Seiten müssten also in Einklang gebracht werden, schlägt der Wissenschaftler vor. Zum Beispiel, dass nicht die Daten aller Menschen erfasst werden, sondern einer definierten Gruppe, die für den wissenschaftlichen Fortschritt ausreichend wäre. Das könne dann auch eine Million sein. Und die Menschen müssen jederzeit ihre Datenprofile gegen eine Nutzung sperren können. Wenn die Zukunftsmedizin den Schutz der Privatsphäre achte und Menschlichkeit nicht aus dem Blick verliere, dann könne sie wahrhaft als Fortschritt gelten, ist Greten überzeugt.

Jürgen Grosche

Experte

Prof. Dr. Johannes Greten

Professor für Chinesische Medizin als Angewandte Neurophysiologie der Universität Porto

Der Chance, gesünder und länger zu leben, steht die Gefahr gegenüber, die Privatsphäre zu beschädigen



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