Neuer Generationenvertrag nötig

Die Gesundheitsdaten von heute sind der Rohstoff für neue Behandlungsmethoden, Medikamente und Absicherungen in der Zukunft. Darüber sollte die Gesellschaft einen Konsens  finden, sagen Experten.

Die Umfrageergebnisse des Forums Zukunftsmedizin, wie auch der apoBank, förderten auf den ersten Blick Erstaunliches zutage: Patienten sind bereit, ihre Gesundheitsdaten Heilberuflern und Datenauswertern zur Verfügung zu stellen, wenn sie einen klaren Nutzen erkennen, zum Beispiel eine effizientere Behandlung ihrer Leiden. Vor allem die jüngere Generation ist dafür offen, sie fragt dabei: Was bekomme ich dafür, dass ich meine Daten zur Verfügung stelle?
Doch der Blick sollte sich nicht nur auf die Gegenwart richten, sagt Klaus Brisch. Der Fachanwalt für Informationstechnologierecht der internationalen Wirtschaftskanzlei DWF verweist auf die Chancen, die das Sammeln und Auswerten von Gesundheitsdaten mit sich bringt: „Die Medizin verfügt in Zukunft nicht nur über die personalisierten Daten eines einzelnen Patienten. Vielmehr entsteht die Möglichkeit, die Gesundheitsdaten einer Vielzahl von Patienten zusammenzuführen und auszuwerten. Damit kann ein Bild von dem Gesundheitszustand ganzer Bevölkerungsgruppen entstehen.“
Mit der Zeit können ganze „Data-Lakes“ (zu Deutsch: Daten-Seen) entstehen: „Gefüllt werden sie mit vielen Tropfen von Patientendaten, für deren Auswertung es in Zukunft neue Analysetools geben wird.“ Der Patient bleibt dabei Herr eines Prozesses, erhält selbst einen transparenten Überblick über seine Daten, die aus verschiedenen Quellen kommen (Arzt, Labor, Krankenhaus) und in der Zukunft auch auf einer Plattform zusammenlaufen können.
Was soll das bringen? „Aus den Daten, die wir heute und in Zukunft sammeln, und ihren Analysen lassen sich in zehn bis 20 Jahren ganz neue pharmazeutische Produkte und Therapien entwickeln. Und Versicherer können Angebote kreieren, die den Patienten eine bessere Absicherung als heute bieten.“ Brisch ist überzeugt: Wenn man dies den Menschen erklären kann, dann dürften auch Skeptiker ihre Zurückhaltung überwinden und bereit werden, ihre Daten hier einzubringen.
Für den Anwalt geht es dabei um mehr als nur individuelle Fragen danach, was „ich“ davon habe oder welche Risiken für „mich“ in der Datenweitergabe stecken.
Brisch appelliert an die Verantwortung der heutigen Generationen für die künftigen. „Das ist eine zentrale Frage, die gesellschaftlich diskutiert werden muss.“
Noch weiter gefasst: Menschen, die heute bereit sind, ihre Daten einzubringen, helfen nicht nur dabei, die Gesundheitsversorgung der Zukunft zu verbessern, sondern auch die Vorsorge breiter aufzustellen. „Prävention und Heilung haben bessere Chancen, wenn Behandlungsmethoden, Medikamente und Versicherungsangebote auf Basis neuer Analyse-Instrumente effizienter werden.“
Am Beispiel macht Brisch deutlich, was das heißt: Heute hat ein Onkologe vielleicht viele radiologische Bilder und Befunde im Kopf, wenn er einen Patienten behandelt.
Er vergleicht den aktuellen Fall mit seinen Erfahrungswerten. Da kommt sicher Einiges zusammen. Aber nicht annähernd so viel, wie moderne Systeme, die mit Hilfe Künstlicher Intelligenz Millionen vergleichbarer Fälle in Sekunden auswerten und daraus Erkenntnisse für den konkreten Fall ziehen können.
Durch die Mithilfe der heutigen Gesellschaft und ihrer Bereitschaft, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, können Millionen Vergleichsfälle ausgewertet werden. Hier sieht Brisch die Verantwortung der heutigen Gesellschaft für die zukünftigen Generationen. Der Anwalt spricht sogar von einer neuen Art von „Generationenvertrag“. Damit die zukünftigen Generationen eine dem technischen Fortschritt entsprechende und effiziente Gesundheitsversorgung erhalten können, sei es erforderlich, dass bereits heute die Daten generationsübergreifend zur Verfügung gestellt werden.
Die Umfrage hat gezeigt, dass ein großer Teil der jungen Generation dazu bereit ist, die Älteren aber noch zögern. Brisch ermuntert dazu, diesem Vertrag zuzustimmen.
„Wir müssen einen Konsens darüber herstellen“ – über einen Prozess, der diesen Schritten folgt: Patienten stellen ihre Daten zur Verfügung, die in die genannten Daten-Seen einfließen. Dort werden sie verknüpft, mit Hilfe von Algorithmen ausgewertet, was zu neuen Erkenntnissen führt.
Selbstverständlich müsse die Datensicherheit „den höchsten Anforderungen im Gesundheitssektor entsprechen“. Das Datenschutzrecht sehe hier bereits wichtige technische und organisatorische Maßnahmen vor, um die Datensicherheit zu gewährleisten. Zudem werden die Daten anonymisiert – erst in der Gänze erbringen sie den beschriebenen Nutzen.
Und wenn Menschen partout nicht ihre Daten preisgeben wollen? Dann stelle sich eine schwerwiegende Frage, mahnt Brisch: „Lassen wir es zu, dass Patienten sich weigern, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, aber von den Chancen profitieren, die der Erkenntnisgewinn bringt?“ Dass sie also quasi als Trittbrettfahrer die gleichen Medikamente, Versicherungspolicen und Behandlungen bekommen wie andere, die ihre Daten einbringen?
Natürlich müsse die Einwilligung freiwillig erfolgen, betont der Fachanwalt. Damit dies geschieht, sei eben jetzt eine Grundsatzdiskussion nötig. Und Aufklärung, damit sich die Menschen aus eigener Überzeugung an der Zukunftsmedizin beteiligen.

Jürgen Grosche

Experte

Klaus Brisch

Fachanwalt für Informationstechnologierecht der Wirtschaftskanzlei DWF

Wir müssen einen Konsens über den Generationenvertrag herstellen



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