Das Coronavirus hat unsere Gesellschaft mit großer Wucht verändert. In kürzester Zeit mussten neue Konzepte für alle Bereiche der Gesellschaft entwickelt werden. Was wir aus diesen Erfahrungen gelernt haben und jetzt für die Zukunft umsetzen müssen, diskutierten elf hochrangige Experten am vergangenen Samstag im Rahmen des „Forum Zukunftsmedizin“.
Die hoch ansteckende, potenziell tödliche Krankheit COVID-19 veränderte das Leben jedes Einzelnen von einem Tag auf den anderen. Quasi im Handumdrehen musste sich das Denken und Handeln in Politik, Wirtschaft, Gesundheit und Medizin, Bildung und Kultur einer ganz neuen Situation anpassen. Deutschland gelang das Krisenmanagement der Pandemie zum Glück sehr gut. Dafür gibt es zahlreiche Gründe. „Einer davon ist, dass die Bundesregierung von Anfang an vertrauensvoll mit der Wissenschaft zusammengearbeitet hat“, erklärt Prof. Dr. Heiner Greten, Chairman des Herz-, Gefäß- und Diabeteszentrums an der Asklepios-Klinik St. Georg in Hamburg.
Zu Beginn klappte alles sehr gut: der Berater der Bundesregierung, Virologe Prof. Christian Drosten von der Berliner Charité, wurde gleichzeitig zum gefragten Ratgeber fürs Volk. Das außergewöhnliche Talent des Virologen, nämlich sein komplexes Fachwissen für jeden verständlich zu erläutern, war in dieser Phase von großer gesellschaftlicher Bedeutung. Durch das Verstehen und Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse waren die Deutschen bereit, die politischen Entscheidungen mitzutragen. Und das, obwohl die Maßnahmen tief in die persönliche Freiheit jedes Bürgers eingreifen.
Die Menschen brauchen auch zukünftig das Wissen der Experten
Für die Zukunft bedeutet diese Erfahrung: eine breite gesellschaftliche Akzeptanz von Pandemieregeln wird nur durch verständlich vermitteltes Expertenwissen in die Gesellschaft möglich sein. Das ist eine Herkulesaufgabe. Denn schon bröckelt der gesellschaftliche Konsens wie beispielsweise die jüngsten Demonstrationen von Corona-Leugnern zeigen. „Wir müssen mehr informieren, aufklären und Expertenwissen vermitteln“, ist deshalb der Senior Communications Manager von Roche Pharma AG, Dr. Cornelius Wittal, überzeugt und fordert: „Wir brauchen einen glaubhaften Navigator für die Bürger, um in einer fragmentierten Informationsgesellschaft, Fakten nachvollziehbar und seriös aufzuarbeiten.“ Wie vergänglich der gesellschaftliche Konsens ist, zeigt sich inzwischen. Ungefiltert geistern Verschwörungstheorien durch die sozialen Netzwerke, für die manche Menschen in Ausnahmesituationen leicht empfänglich sind.
SARS CoV-2 fördert Unsicherheit, Frust, Depressionen und Einsamkeit. Je mehr das Coronavirus in die Lebenswelt des Einzelnen eingreift und sie nachhaltig verändert, umso mehr Widerstand gibt es gegen die politischen Maßnahmen. Infolgedessen stellen viele Menschen die wissenschaftlich erarbeiteten Erkenntnisse in Frage. „Die Pandemie verändert die Gesellschaft, sie macht Menschen einsam, grenzt bestimmte Bevölkerungsgruppen aus, führt zu Depressionen und belastet Familien. Gleichzeitig beschleunigt COVID-19 die Digitalisierung, verändert Arbeitswelt und Wirtschaft“, fasst Prof. Heiner Greten die sichtbarsten Folgen der Pandemie zusammen. Das daraus resultierende Bündel von neuen Herausforderungen kann eine Gesellschaft meistern, wenn sie die richtigen Lehren aus dem bisher Gelernten zieht. „Was unsere Gesellschaft in der Krisensituation zu leisten fähig ist, haben die vergangenen Monate bereits gezeigt“, betont Prof. Dr. Heiner Wedemeyer, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie der Medizinischen Hochschule Hannover. „Wir haben durch Disziplin und mit Hilfe der Wissenschaft in kürzester Zeit eine Pandemie unter Kontrolle gebracht. Gleichzeitig resultiert aus diesem Erfolg aber auch die größte Gefahr für die Zukunft: das Nachlassen der Disziplin,“ warnt er. Große Familienfeiern, Urlaubsrückkehrer und Partys junger Menschen seien die größten Gefahrenquellen für weitere Corona-Ausbrüche. „Zehn Prozent können den Rest der Gesellschaft anstecken“, so Wedemeyer.
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